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77Methoden-Baustein: Mittelalterliche Urkunden analysieren Mittelalterliche Urkunden analysieren Wer heute ein Recht erworben hat, etwa die Berechtigung, als Anwalt zu arbeiten oder ein Kraftfahrzeug zu führen, kann sich darauf verlassen, dass staatliche Ämter über diese Rechte Buch führen. Auch wer ein Besitzrecht hat, etwa an einem Haus oder Grundstück, weiß, dass dieses Recht bei einer Behörde eingetragen ist. Solche staatlichen Organe gab es im Mittelalter noch nicht. Rechte wurden von demjenigen gewährt, der in der Hierarchie der Gesellschaft übergeordnet war. Über jedes vergebene Recht wurde eine Urkunde (diploma) ausgestellt, die als einziger Beleg die Rechtmäßigkeit eines Anspruches verbriefte. Oberste Instanz, aus der alle Rechte abgeleitet wurden, war der König. Er stellte Urkunden für Bistümer und Klöster, Städte und Provinzen, Einzelpersonen und Personengruppen aus. Mit ihnen entschied er als oberster Richter auch Streitigkeiten. Gewalt über Menschen und Sachen war im Mittelalter personale Herrschaft. Sie beruhte auf gegenseitigen Verpfl ichtungen von Herr und Untertan (Vasall). Wenn ein neuer König sein Amt antrat, mussten die Herzöge und Grafen ihm Lehnseide leisten, denn die Treueversprechen gegenüber dem verstorbenen König waren durch dessen Tod hinfällig. Dabei ließen sich Empfänger älterer Rechte oftmals ihre Urkunden erneuern oder vom neuen König bestätigen. Mittelalterliche Urkunden analysieren Entsprechend ihrer hohen Bedeutung im mittelalterlichen Recht folgen Urkunden einem festen Schema. Papst und König, später auch große weltliche und geistliche Herren, unterhielten eine Kanzlei, die mit der Verwaltung von ausgestellten und empfangenen Urkunden befasst war (cancellarius: Kanzler; ursprünglich Vorsteher einer Kanzlei). Zur Beglaubigung von Urkunden wurden diese mit einem Siegel vesehen. Erst dieser Abdruck eines besonderen Stempels, meist mit dem Bild des Ausstellers, verlieh der Urkunde Rechtskraft. Königsurkunden sind wichtige Quellen für die Herrschaftspraxis mittelalterlicher Regenten. Um sie zu analysieren, können wir folgende Fragen an das Diplom stellen: Formale Kennzeichen p Liegt die Urkunde im Original vor oder lediglich in einer späteren Abschrift? p Ist die Urkunde echt oder handelt es sich um eine Fälschung? p Ist sie vollständig und lesbar oder fehlen ihr Teile? p Folgt die Urkunde dem üblichen Aufbau oder weist sie Besonderheiten auf? Entstehungsund Überlieferungsgeschichte p Wo wurde die Urkunde ausgefertigt? Welche Urkunden entstanden dort gleichzeitig noch? p Enthält sie neue rechtliche Regelungen oder bestätigt oder ändert sie ältere Rechte? p Welche Ausfertigung ist erhalten? Wie und wo wurde sie bis heute überliefert? Inhalt p Wer wurde durch die Urkunde begünstigt, wer gab etwas ab oder auf? p Liegen für die Regelungen der Urkunde auch andere Quellen vor (Chroniken, Annalen)? p Kann für den Rechtsakt eine Vorgeschichte rekonstruiert werden? Intention und Wirkung p Welche Bedeutung hatte das Rechtsgeschäft für Aussteller und Empfänger der Urkunde? p Wurde die Urkunde nach ihrer Ausstellung zum Beleg von Ansprüchen herangezogen? p Wurde die Regelung durch spätere Urkunden verändert (zurückgenommen, erweitert)? Beurteilung p Wie fügt sich der in der Urkunde festgelegte Rechtsakt in unser Wissen über die Zeit ein? p Was erfahren wir über die Motive und die Handlungsweise der beteiligten Personen? Nu r z r P rü fzw ec ke n Ei ge nt um d e C .C . B uc hn er V er la gs | |
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