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79Mittelalterliche Urkunden analysieren Formale Kennzeichen Die Urkunde ist eine Originalausfertigung auf Pergament, datiert auf das Jahr 1013. Zu diesem Datum passt jedoch weder der Inhalt (Erzbischof Willigis von Mainz war 1011 gestorben) noch die Zeugenreihe (vier Zeugen waren 1012 gestorben, einer schon 1009). Es handelt sich um die Neuausfertigung einer älteren Urkunde. Die Vorlage ist, wie wir aus anderen Quellen wissen, 1007 ausgestellt worden und bei einem Brand des Hildesheimer Domes im Januar 1013 vernichtet worden. Entstehungsund Überlieferungsgeschichte Der „alt[e] Hass“ (Z. 1) zwischen dem Erzbischof von Mainz und dem Bischof von Hildesheim über die Rechte im Stift Gandersheim hat eine Vorgeschichte: Das Stift, eine geistliche Einrichtung für hochadlige Damen, war 852 vom sächsischen Grafen Liudolf gegründet worden, dem Stammvater der späteren Ottonen. Von dieser Dynastie wurde Gandersheim sehr reich beschenkt. Die Tochter Kaiser Ottos II., Sophia (975 1039), war als Kind den Stiftsdamen zur Erziehung übergeben worden und 989 selbst in die Gemeinschaft eingetreten. Vor ihrer Einkleidung als Kanonisse provozierte sie einen heftigen Streit: Die eitle Prinzessin wollte sich nicht mit der Segnung durch den Bischof von Hildesheim begnügen, sondern forderte ihre Einkleidung durch den Erzbischof von Mainz – Gandersheim lag an der Grenze zwischen beiden Bistümern. Als Sophia 1002 dort Äbtissin wurde, unterstellte sie das Stift weiterhin Mainz und stachelte ihre Mitschwestern gegen den Hildesheimer Oberhirten auf. Dieser erhob schwere Klage und pochte auf die alten Rechte seiner Kirche am Stift. Sogar Kaiser und Papst wurden mit der Sache befasst (vgl. Z. 7). Der Gandersheimer Streit wurde erst 1007 beigelegt, als Heinrich II. die Angelegenheit zugunsten des Hildesheimer Bischofs Bernward entschied, der die älteren Besitzrechte seiner Diözese nachweisen konnte. – Heinrich II. hielt sich seit Februar 1013 fünf Wochen auf seiner Pfalz Werla auf, was wir aus Chroniken wissen. Dort wurde auch unsere Urkunde ausgestellt.* Sie zitiert wörtlich das verbrannte Original, mit allen inzwischen verstorbenen Beteiligten. In Hildesheim muss also eine Abschrift überlebt haben. Inhalt Das Diplom enthält nicht nur ein rechtliches Ergebnis, sondern schildert ausführlich die Umstände des Zustandekommens. Eine so lange narratio ist sehr selten. Wir erfahren (Z. 6 9), dass der Kaiser schon oft gegen den Mainzer Erzbischof Stellung bezogen hat und beide Parteien schließlich auf einer Bischofssynode zu einer Einigung bewegen konnte (Z. 9 13). Die Versöhnung wird anlässlich der Neuweihe der Kirche in Gandersheim öffentlich vollzogen: Beim Zusammentreffen mit Bernward hat Willigis sich an die vereinbarte Zurückhaltung gehalten (Z. 20 f.) und schließlich, am Kirchenportal, vor allen Anwesenden, auf Gandersheim verzichtet (Z. 26 31). Zur Bekräftigung schenkte Willigis seinen Bischofsstab an Bernward, ein symbolischer Akt, der mit einer Lehnsübergabe verglichen werden kann (Z. 34 f.). Auch die wörtliche Wiedergabe von Willigis’ Ansprache (Z. 36 45) ist in einer Urkunde sehr ungewöhnlich. Intention und Wirkung Mit der Urkunde wurde der Gandersheimer Streit zugunsten der Kirche von Hildesheim beigelegt. Die lange Reihe hochrangiger Zeugen, die ungewöhnliche Schilderung der Abläufe und die Tatsache der Erneuerung des Diploms belegen, wie ernst alle Beteiligten die Angelegenheit nahmen. Die geschilderten Handlungen zeigen überdies, wie im Mittelalter Politik durch Zeichen ausgedrückt wurde. Beurteilung Die Forschung hat bemerkt, wie geschickt der Mainzer Erzbischof, der eine große Niederlage erlitten hat, in seiner Ansprache agiert: Willigis habe wie einer gesprochen, der „auf sein gutes Recht verzichtet“ habe. Dadurch konnte er, der hochrangige Erzbischof und Erzkanzler des Reiches, einen Gesichtsverlust vermeiden. * neben mehreren anderen erneuerten Diplomen für Hildesheim Nu r z ur P rü fzw ck en Ei ge nt um d es C .C . B uc ne r V er la gs | |
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