Volltext anzeigen | |
M1 „Revolution von oben“ In der „Rigaer Denkschrift“ (12. September 1807) skizziert der auf Befehl Napoleons entlassene preu ßische Staatsminister Karl August Fürst von Hardenberg dem König von Preußen die Grundlagen einer Reorganisation des Staates: Die Französische Revolution, wovon die gegenwär tigen Kriege die Fortsetzung sind, gab den Franzosen unter Blutvergießen und Stürmen einen ganz neuen Schwung. Alle schlafenden Kräfte wurden geweckt, das Elende und Schwache, veraltete Vorurteile und Gebrechen wurden – freilich zugleich mit manchem Gu ten – zerstört. Die Benachbarten und Überwun denen wurden mit dem Strome fortgerissen. […] Der Wahn, dass man der Revolution am sichersten durch Festhalten am Alten und durch strenge Verfolgung der durch solche geltend gemachten Grundsätze entgegenstreben könne, hat besonders dazu bei getragen, die Revolution zu befördern und der selben eine stets wachsende Ausdehnung zu geben. Die Gewalt dieser Grundsätze ist so groß, sie sind so allgemein anerkannt und verbreitet, dass der Staat, der sie nicht annimmt, entweder seinem Untergange oder der erzwungenen Annahme derselben entge gen sehen muss. […] Also eine Revolution im guten Sinn, gerade hin füh rend zu dem großen Zwecke der Veredelung der Mensch heit, durch Weisheit der Regierung und nicht durch gewaltsame Impulsion1 von innen oder außen, – das ist unser Ziel, unser leitendes Prinzip. Demokratische Grundsätze in einer monarchischen Regierung: dieses scheint mir die angemessene Form für den gegenwärtigen Zeitgeist.2 Die reine Demo kratie müssen wir noch dem Jahre 2440 überlassen3, wenn sie anders je für den Menschen gemacht ist. […] Man schrecke ja nicht zurück vor dem, was er4 als Hauptgrundsatz fordert, möglichste Freiheit und Gleich heit. – Nicht die regellose, mit Recht verschriene: die die blutigen Ungeheuer der Fran zö sischen Revolution zum Deckmantel ihrer Verbre chen brauchten oder mit fanatischer Wut statt der wahren, im gebildeten gesellschaftlichen Zustande möglichen, ergriffen, sondern nur diese nach weisen Gesetzen eines monarchischen Staats, die die na tür liche Freiheit und Gleichheit der Staatsbürger nicht mehr beschränken, als es die Stufe ihrer Kultur und ihr eigenes Wohl erfordern. […] Die Nation mit der Staatsverwaltung in nähere Verhältnisse zu bringen, sie mehr damit bekannt zu machen und dafür zu interessieren, ist allerdings heilsam und nötig. Die Idee einer Nationalrepräsentation, so wie sie von dem Herrn von Altenstein5 gefasst ist, ohne Abbruch der monarchischen Verfassung, ist schön und zweckmäßig. Der Begriff gefährlicher Nationalversammlungen passt nicht auf sie. Durch die Amalgamierung6 der Repräsentanten mit den einzelnen Verwaltungsbehörden wird sie den Nutzen gewähren, ohne den Nachteil zu haben. Sie soll keinen besonderen konstitutiven Körper, keine eigene Behörde bilden. […] […] Dass man dem Provinzialcharakter nicht Gewalt antun und aus Sucht, alles in eine Form, besonders in eine nicht passende, zu zwingen, nicht überall alle Einrichtungen und Vorschriften auf gleiche Weise geltend machen müsse, damit bin ich vollkommen einverstanden. Doch scheint es mir weise, dem Ganzen einen einzigen Nationalcharakter aufzuprägen und nach und nach, jenen Maximen unbeschadet, dahin zu arbeiten, welches auch ohne Zwang geschehen kann. Die Verwaltung nach Provinzen würde ich diesemnach nicht beibehalten, die Verwaltungsdepartements nach den natürlichen Verhältnissen abteilen und benennen und einem jeden eine Kammer vorsetzen. Der ganze Staat heiße künftig Preußen. […] Walter Demel und Uwe Puschner (Hrsg.), Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789 1815, Stuttgart 1995, S. 87 f., 89 f. und 92 f. 1. Arbeiten Sie Hardenbergs Haltung gegenüber der Französischen Revolution heraus. 2. Nennen Sie wesentliche Aspekte, die nach Hardenberg für eine Reorganisation des Staates zu beachten wären. 1 Impulsion: Anstoß, Anregung 2 Offenbar nach dem Philosophen Immanuel Kant (1724 1804), der mit Blick auf die Französische Revolution sagte: „Autokratisch herrschen und dabei doch republikanisch […] regieren, ist das, was ein Volk mit seiner Verfassung zufrieden macht.“ 3 Anspielung auf den utopischen Roman von L. S. Mercier (1740 1814), L‘an 2440. Rêve s‘il en fût jamais 4 Hardenberg bezieht sich hier auf Überlegungen seines Mitarbeiters Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein. 5 Vgl. Anm. 4. 6 Amalgamierung: enge Verbindung 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 231Deutschland im Schatten Napoleons Nu r z u Pr üf zw e ke n Ei ge nt u es C .C .B uc hn r V er la gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |