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i Höhere Töchterschule. Ölgemälde von Leopold Schauer, 1871. 209Lebensund Arbeitsbedingungen im Wandel und Fabrikmeister eingesetzten ausgebildeten Handwerker das Vierbis zuweilen Sechsfache der ungelernten Kräfte. Hinzu kam, dass sich durch gleichzeitig steigende Preise und Mieten die Lebenshaltungskosten erhöhten und die Reallöhne verminderten. Meist reichte das Einkommen der ungelernten Arbeiter nicht zum Lebensunterhalt der Familie aus, sodass Frauen und Kinder hinzuverdienen mussten, deren Verdienst zudem erheblich unter dem der Männer lag. Seit der Jahrhundertmitte war die Kinderarbeit zwar wegen der wachsenden Kritik und der Durchsetzung der Schulpfl icht allmählich zurückgegangen. Viele Familien blieben jedoch auf die Arbeitsentlohnung der Kinder angewiesen. Arbeitslosigkeit oder Krankheit konnten schnell das Einkommen einer Familie aufzehren und sie an den Rand des Existenzminimums bringen, denn sie hatte kaum Möglichkeiten, Rücklagen zu bilden. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Invalidenrente gab es nicht. Altersarmut war verbreitet. Die erhöhten Produktivitätsanforderungen konnten nur Männer im Alter von 25 bis 40 Jahren leisten. Ältere sanken fast zwangsläufi g in die Arbeitslosigkeit ab, die damals noch nicht zu einem Problem wurde, da sie bis zum Ersten Weltkrieg mit zwei bis drei Prozent vergleichsweise gering war. Natürliche Differenz der Geschlechter? Mit dem Wandel von der Agrarzur Indus triegesellschaft wurden Erwerbsarbeit und Haushalt immer mehr voneinander getrennt. Aus der vorindus triellen Lebensund Produktionsgemeinschaft entstand eine Konsumgemeinschaft, in der Männern und Frauen unterschiedliche Rollen zugeschrieben wurden. Diese betonte Unterscheidung der Geschlechterrollen ist im Wesentlichen ein Produkt der bürgerlichen Gesellschaftsvorstellung des 19. Jahrhunderts und Ergebnis realer Entwicklungen. Im gehobenen Bürgertum wurde der Mann zum Alleinverdiener, während sich die Frau auf Familie und Haushalt zu konzentrieren und dem Mann als Ehefrau, Mutter und Haushälterin den Rücken für seine berufl iche Karriere freizuhalten hatte. Töchter wurden in ihrer Ausbildung fast ausschließlich auf ihre Rolle als Ehefrau vorbereitet. Begründet wurden die ungleichen Rollen mit der naturgegebenen Differenz der Geschlechter. Demnach seien Frauen von Natur aus passiv, emotional und nicht zu vernünftigen Überlegungen fähig, während Männer aktiv und rational ausgerichtet seien. Dies begründete die Arbeits und Funktionsteilung, nach der Frauen die Erziehung, Pfl ege oder Haushaltung, Männern dagegen sachbezogene und produktive Arbeiten zugewiesen wurden. Mit dieser Form der modernen Kernfamilie entstand zudem eine Privatsphäre, die es bis zu diesem Zeitpunkt im traditionellen Familienverständnis nicht gegeben hatte. Zuvor waren familiäre Ereignisse wie Hochzeiten, Taufen oder Begräbnisse öffentliche Angelegenheiten gewesen, an der die Gemeinschaft, die Zunft oder die Nachbarschaft beteiligt waren. Sie fanden nun im engeren Familienund Freundeskreis statt. Auch andere Feste wandelten sich zu Familienfeiern, so vor allem das Weihnachtsund das Osterfest. Der Familienkreis wurde von genossenschaftlichen, kirchlichen oder beruflichen Gemeinschaften getrennt. Das „Privatleben“ entstand. Damit einher ging die ideelle Überhöhung der Familie als privater Rückzugsraum. Durch Liebe gekennzeichnete Beziehungen und eine harmonische häusliche Ordnung sollten die Härten der Berufsund Arbeitswelt wie den Verlust an außerfamiliärer Gemeinschaft ausgleichen. Dieses bürgerliche Familienmodell stellte das Ideal dar, an dem sich auch andere gesellschaftliche Gruppen orientierten. Nu r z P rü fzw ec ke n Ei ge tu m de s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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