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M4 Arbeitsbedingungen in der Fabrik Eine der seltenen Quellen, in denen Arbeiter ihre Situation schildern, ist dieser mithilfe eines Journalisten verfasste Bittbrief Augsburger Fabrikarbeiter an König Ludwig II. von Bayern zu Beginn seiner Regierungszeit 1865: Allerdurchlauchtigster Großmächtigster König! Allergnädigster König und Herr! Indem wir unterzeichneten Arbeiter der Kreishauptstadt Augsburg es wagen, Euerer Königlichen Majestät Thron aller untertänigst treugehorsamst mit einer Bitte zu nahen, so gibt uns hierfür den Muth die allbekannte Gerechtigkeitsliebe Euerer Königlichen Majestät und die wirklich väterliche Fürsorge, welcher Euere Königliche Majestät auf den Geringsten Ihrer Untertanen zuwendet. In den hiesigen Baumwollspinnereien, Webereien, Kattundruckereien ist zwar von jeher die Arbeitszeit von 5 Uhr morgens bis abends 7 Uhr festgesetzt; also täglich eine dreizehnstündige Arbeitszeit. Dazu kommt aber noch, dass in den meisten Fabriken keine Frühstücksstunde, Mittagsstunde, keine Abendbrotzeit stattfi ndet, weil die Werke in diesen Fabriken fortlaufen. […] Hinzu kömmt aber noch, dass die Arbeitszeit in diesen Fabriken, welche wochenweise oft bis 8 Uhr abends, an Samstagen sogar bis 11 Uhr nachts arbeiten lassen. Hier tritt nun ein noch traurigeres Verhältnis für die Erholung und nötige Ruhe der Arbeiter ein. Bei einer solchen Sachlage ist es nun selbstverständlich, dass darunter die Gesundheit der Arbeiter empfi ndlichen Schaden leiden muss. Der Mangel an Schlaf und der nötigen Erholung und Ruhe, besonders bei Kindern im Alter von 13 17 Jahren, kann nicht anders als höchst nachtheilig auf die Gesundheit einwirken. Es ist eine offenbare Tatsache, dass die Fabrikarbeiter schon auf den ersten Blick an ihrem blassen und kränklichen Aussehen [er]kennbar sind. Dazu trägt nun hauptsächlich die lange Arbeitszeit bei. Allein noch andere Umstände sind hierbei in Betracht zu ziehen. In den Sälen dieser Fabriken atmet der Arbeiter ungesunde, mit schädlichen Dünsten geschwängerte Luft ein. Die große Anzahl Arbeiter, welche in einem solchen Saale zu arbeiten haben, erzeugt natürlich ungesunde Ausdünstungen, dazu kommt noch der Staub der Wolle, den die Arbeiter einzu atmen haben, der scharfe Geruch der Öle und Fette, welche in den Fabriken verwendet werden. Diese ungesunde, mit Dünsten geschwängerte Luft aller Art hat nun der Arbeiter 13 volle, oft auch 14 und noch mehr Stunden einzuatmen. Frische reine Luft dringt nicht in diese Säle, weil die Fenster im Sommer nur kurze Zeit, im Winter aber gar nicht geöffnet werden. […] Um 3 Uhr und 4 Uhr im Winter aufstehen, eine halbe oder eine Stunde an die Arbeit bei Kälte, Schnee und Wind gehen zu müssen, sich dann nur wenige Stunden des Schlafes und der Ruhe erfreuen zu können, muss auch eine kräftige Konstitution ruinieren, wie viel mehr noch das Kindesalter, das zu seinem Wachstum und zu seiner körperlichen und geistigen Entwicklung vor allem der Ruhe bedarf. Stadtarchiv Augsburg, Nachlass Hassler, K 3 1. Skizzieren Sie die Arbeitsund Lebensbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter. 2. Die Unternehmer wurden von der bayerischen Regierung zu einer Stellungnahme aufgefordert. Entwerfen Sie einen Antwortbrief der Unternehmer. 3. Diskutieren Sie, warum solche betrieblichen Zustände heute nicht mehr möglich sind. M5 „Was der Schinderkasten nur schlucken kann“ Franz Rehbein ist um 1890 einer der zahlreichen Tagelöhner, die auf den Gütern östlich der Elbe beschäftigt sind. Er arbeitet an der Dreschmaschine, an der er später auch durch einen Unfall eine Hand verliert. In seiner Autobiografi e schildert er rückblickend das Landarbeiterleben in Dithmarschen in Holstein: Nicht jeder Hof hat seine Maschine, wie die Großgüter, auch gibt es keine Genossenschaftsmaschinen, wie anderswo. Die Dreschmaschinenbesitzer sind vielmehr selbstständige Unternehmer, die sich eine eigene Maschine entweder gegen Bar oder auf Abzahlung anschaffen. Sie nehmen sich auch selbstständig die nötigen Mannschaften an und ziehen nun mit ihrem bemannten Geschütz von Hof zu Hof, mit dessen Bauern der Drusch vereinbart war. Gedroschen wird im Stundenlohn. […] Die Höhe des Stundenlohnes richtet sich, wie bei allen Gelegenheiten, so auch hier nach dem Angebot von Arbeitskräften. In der ersten Zeit, wenn auf den Höfen noch viel Leute beim Einfahren gebraucht werden, steigt der Lohn wohl auf 30 bis 35 Pfennige die Stunde, später sinkt er auf 20 bis wohl 15 Pfennige herab. […] Stunden, nur Stunden schinden, ist hier die Losung. Je mehr Stunden am Tage, desto eher wird der Bauer die Maschine wieder los, desto weniger Mahlzeiten braucht er den Leuten zu geben. Je mehr Stunden der Maschinenmeister erzielt, desto mehr Korn kann er zum Ausdrusch übernehmen, und desto höher ist sein Profi t. Je mehr Stunden die Leute zusammenrackern, desto größer ist der Wochenverdienst. Spätestens um 4 Uhr morgens wird angefangen, nicht selten aber auch schon um 3 Uhr, und dann geht es den ganzen lieben langen Tag rastlos fort, mindestens bis 8 Uhr abends; sehr 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 5 10 15 20 213Lebensund Arbeitsbedingungen im Wandel Nu r z u Pr üf zw e ke n Ei ge tu m d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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