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37Die „Völkerwanderung“ und das Ende des Weströmischen Reiches M3 Die Goten – Zerstörer oder Bewahrer des Römischen Reiches? Der christliche Historiker Paulus Orosius berichtet im 5. Jahrhundert über die politischen Ziele des westgotischen Königs Athaulf und über dessen Einstellung zum Römischen Reich: Ich habe nämlich selber einen gewissen Bürger der Stadt Narbo1 […] erzählen hören: er sei mit Athaulf in Narbo auf das Engste befreundet gewesen und habe von ihm oft unter Beweis erfahren, was jener […] zu beteuern pfl egte: Er habe vor allem mit glühendem Eifer danach getrachtet, dass er nach der Auslöschung des römischen Namens den ganzen römischen Reichsboden zum Reich der Goten mache und so benenne und dass, um volkstümlich zu reden, „Gothien“ wäre, was früher „Romanien“ gewesen wäre, und dass jetzt Athaulf würde, was einst der Caesar Augustus2 gewesen war. Aber nachdem ihn mannigfache Erfahrung belehrt hätte, dass weder die Goten infolge ihrer unbändigen Wildheit auf irgendeine Weise dazu gebracht werden könnten, den Gesetzen zu gehorchen, noch die Gesetze des Staates verboten werden könnten, ohne die der Staat nicht Staat ist, da habe er sich wenigstens zum Ziel gesetzt, dadurch für sich Ruhm zu erwerben, dass er mit den Kräften der Goten das römische Wesen wieder völlig herstellte und noch vermehrte und bei der Nachwelt als der Urheber der römischen Wiederherstellung gälte, weil er nicht dessen Umgestalter hätte sein können. Daher trachte er danach, den Krieg zu vermeiden, daher, dem Frieden nachzustreben, wobei er vor allem durch den Einfl uss und Rat seiner Gattin [Galla] Placidia, einer Frau von wahrlich äußerst scharfem Verstand und einer guten Christin, zu allen Werken guter Maßnahmen gelenkt wurde. Paulus Orosius, Geschichte gegen die Heiden, 7, 40, 2 und 7, 43, 3 ff., zitiert nach: Walter Arend (Bearb.), Altertum. Geschichte in Quellen, München 31978, S. 791 f. M4 Die Goten – ein Volk oder ein Kriegerverband mit Tross? Ein Gote mit Namen Jordanes schreibt um 550 n. Chr. eine Geschichte seiner Völkerschaft und greift dabei auf ihm vorliegende schriftliche Quellen wie auf mündliche Erzählungen zurück. Jordanes berichtet über die Wanderung der Goten: Auch die Grannier, Augandzer, Eunixer, Tätel, Ruger, Arocher und Ranier sind in der derselben Gegend. Über sie herrschte vor noch nicht vielen Jahren der König Rodwulf, der sein eigenes Reich für zu gering achtete und sich in den Schutz des Gotenkönigs Theoderich begab, wo er fand, was er wünschte. Diese Völker an Gestalt und Mut größer als die Germanen, kämpften mit tierischer Wildheit. […] Als nun die Zahl des Volkes immer mehr zunahm und ungefähr der fünfte König nach Berig herrschte, nämlich Filimer, der Sohn des Gadarich, fasste dieser den Entschluss, in bewaffnetem Zug mit Weib und Kind auszuwandern. Als er nach geeigneten Wohnsitzen und passenden Örtern suchte, kam er in die Lande von Scythien, welche in ihrer Sprache Oium heißen. Die fruchtbaren Gegenden gefi elen dem Heer. Da brach jedoch, nachdem schon die Hälfte die Brücke überschritten hatte, welche über den Fluss führte, diese zusammen, und man konnte sie nicht wiederherstellen; so konnte niemand mehr hinüber oder herüber. [...] Der Teil der Gothen also, der unter Filimer über den Fluss setzte und nach Oium kam, bemächtigte sich des ersehnten Bodens. […] 5 10 15 20 5 10 15 20 25 u Nachzeichnung eines Medaillons. 4. Jh., Blei, Durchmesser 8,5 cm. Das 1862 in Lyon gefundene römische Medaillon zeigt die Aufnahme einer Gruppe von Germanen ins Römische Reich. In der oberen Hälfte des Medaillons gewähren zwei sitzende römische Kaiser den Germanen die Bitte um Ansiedlung. In der unteren Hälfte überqueren die Germanen den Grenzfl uss Rhein (lat. Flumen Renus) auf der Brücke zwischen der Stadt Mainz (lat. Mogontiacum) und der Festung Mainz-Kastel (lat. Castel), um sich auf der römischen Seite der Grenze niederzulassen. Die Umschrift des Medaillons lautet „Glück des Zeitalters“ (lat. saeculi felicitas). p Analysieren Sie, wie Aufnahme und Ansiedlung von Germanen im Römischen Reich auf dem Medaillon dargestellt und bewertet werden. 1 Gemeint ist die heutige Stadt Narbonne in Südfrankreich. 2 Kaiser Augustus (27 v. Chr. 14. n. Chr.) Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei g nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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