Volltext anzeigen | |
17Soziale und wirtschaftliche Krisen im Spätmittelalter Seuchengebiete erreicht und überschritten worden. Die betroffenen Gesellschaften lebten in einem physischen und psychischen Ausnahmezustand, der Kult und Menschenliebe vorübergehend zu einer nie für möglich gehaltenen Seltenheit werden ließ. Rolf Walter, Geschichte der Weltwirtschaft. Eine Einführung, Köln 2006, S. 77 f. 1. Fassen Sie die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pest nach Rolf Walter zusammen. 2. Erläutern Sie den von Rolf Walter verwendeten Begriff „Fundamentalzäsur“ (siehe Zeile 27). 3. Visualisieren Sie Ursachen, Ausbreitung und Folgen der Pest in Form eines Schaubildes. Berücksichtigen Sie dabei die Informationen aus der Darstellung (Seite 12 f.) und den Materialien (M2 und M3). M4 Die Geißlerzüge Der Straßburger Geistliche und Chronist Fritsche Closener (um 1315-1390/96) berichtet: Wenn sie nun Buße tun wollen, so nannten sie das Geißeln. Das geschah täglich wenigstens zweimal, früh und spät. Sie zogen dann ins Feld hinaus und man läutete die Glocken und sie versammelten sich und gingen in Zweierreihen und sangen ihr Lied, wie schon vorher gesagt. Und wenn sie an die Stelle der Geißelung kamen, so zogen sie sich barfuss und bis auf die Hosen aus und legten sich Kittel oder andere weiße Tücher um, die vom Gürtel bis zu den Füßen reichten, und wenn sie anfangen wollten zu büßen, so legten sie sich in einem weiten Ring nieder und je nachdem wie jeder gesündigt hatte, legte er sich nieder: War er ein meineidiger Bösewicht, so legte er sich auf eine Seite und streckte seine drei Finger über das Haupt. War er ein Ehebrecher, so legte er sich auf den Bauch. So legten sie sich in verschiedener Weise nach den Sünden verschiedener Art, die sie begangen hatten. Dabei sah man genau, welcherlei Sünde jeder begangen hatte. […] Unterdessen gingen die Brüder in Zweierreihen um den Ring herum und schlugen sich mit Geißeln aus Riemen, die vorn Knoten hatten, in die Spitzen gesteckt waren, und schlugen sich auf ihre Rücken, sodass viele heftig bluteten. […] Und wo sie in die Städte kamen, da liefen ihnen viele Leute zu, die auch Geißler wurden, sowohl Laien wie Geistliche. Doch schloss sich kein Geistlicher an, der gebildet war. […] Einigen gefi el die Bruderschaft besonders gut. Wenn sie den Bußakt einmal vollbracht hatten, begannen sie ihn von Neuem. Das geschah deshalb, weil sie zu der Zeit müßig gingen und nicht arbeiteten. Denn wo sie hinkamen – wie viele es auch waren –, lud man sie alle ein und behandelte sie außerordentlich großzügig und es gab viele Leute, die sie gern eingeladen hätten, wenn sie nur Gelegenheit dazu gehabt hätten. So hoch wurden sie geschätzt. Die Bürger in den Städten gaben ihnen von der Gemeinde aus Geld, damit sie sich Fahnen und Kerzen kauften. Die Brüder nahmen große Heiligkeit für sich in Anspruch und sagten: Es geschähen aufgrund ihres Willens große Zeichen. […] Diese Geißelfahrt dauerte länger als ein Vierteljahr, indem jede Woche eine Gruppe von Geißlern kam. Danach machten sich Frauen auf und reisten auch durch das Land und geißelten sich. Danach nahmen junge Knaben und Kinder an der Geißelfahrt teil. Danach wollten die von Straßburg ihnen nicht mehr läuten und wollten ihnen auch keine Beihilfe zu Kerzen und Fahnen geben. Man wurde ihrer auch so müde, dass man sie nicht mehr nach Hause einlud, wie man das getan hatte. So kam es zu einer Geringschätzung, sodass man sie wenig achtete. Nach: Hartmut Boockmann, Das Mittelalter. Ein Lesebuch, München 1988, S. 247 ff. 1. Beschreiben Sie die Geißler und ihre Praktiken. 2. Arbeiten Sie die personelle Zusammensetzung der Geißlerzüge aus der Quelle heraus. 3. Analysieren Sie, wie die Bevölkerung auf die Geißlerzüge reagierte. 4. Mitte des 14. Jahrhunderts traten Geißlerzüge massenhaft auf. Erläutern Sie, warum. M5 Was in Straßburg und andernorts geschah Im 14. Jahrhundert leben in Straßburg etwa 20 000 Menschen, die jüdische Gemeinde umfasst 250 bis 300 Personen. Sie wird 1349 ausgelöscht. Über die Vorgänge berichtet um 1400 der Priester und Chronist Jakob Twinger von Königshofen: Als man das Jahr 1349 zählte, war das größte Sterben, das je gewesen war; von einem Ende der Welt bis zum anderen, diesseits und jenseits des Meeres. Unter Heiden war es noch größer als in der Christenheit. […] Wegen dieses Sterbens wurden die Juden in der ganzen Welt verleumdet und bezichtigt, es mithilfe von Gift verursacht zu haben, das sie in die Gewässer und Brunnen geschüttet hätten; aus diesem Grund wurden die Juden vom Meer bis nach Deutschland verbrannt, nur in Avignon beschützte sie der Papst. In Bern und in Zofi ngen folterte man etliche Juden, die gestanden, sie hätten viele Brunnen vergiftet, und man fand 5 10 15 20 25 5 10 30 30 35 40 45 32015_1_1_2015_Kap1_008-081.indd 17 01.04.15 10:57 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C . B uc hn er V er la gs | |
« | » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |