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21 Krisen sind keine Naturprozesse, wohl aber können z. B. Erdbeben, Flutkatastrophen, Dürreperioden Krisen auslösen: Hunger-Krisen, aber auch Krisen des Vertrauens in die Fähigkeit von Regierung und Verwaltung, mit ihnen fertig zu werden. Naturprozesse können Bedingungen der Möglichkeit von Krisen sein, diese sind von Menschen erfahrene, erlittene, gemachte und genutzte Krisen. Allerdings genügt subjektiv oder auch kollektiv geäußertes Krisen-Bewusstsein nicht als hinreichender Beweis, sondern kann allenfalls als Indiz für tatsächliche Krisen gelten. Indes kann Krisen-Bewusstsein Verlauf und Ausmaß einer Krise wesentlich beeinfl ussen. Krisen müssen, um als solche bezeichnet werden zu können, objektiven Charakter haben, also nicht nur herbeigeredet sein, indem vorübergehenden und vereinzelten krisenhaft erscheinenden Symptomen von Veränderung aus Sorge übertriebene Bedeutung zugeschrieben wird. […] Es geschieht nicht selten, dass der Krisen-Charakter gerade langfristiger Veränderungsprozesse, in die viele Menschen und Lebensbereiche involviert1 waren, nachträglich von der historischen Forschung unterschiedlich interpretiert, infrage gestellt oder überhaupt bestritten wird. […] So ist gegen die allerdings sehr pauschale Rede von der „Krise des späten Mittelalters“ unter Hinweis auf Kontinuitäten, die Lebendigkeit religiösen Lebens und kirch liche Reformansätze Einspruch erhoben worden. Stefan Jordan (Hrsg.), Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2002, S. 193-195 1. Fassen Sie die wesentlichen Aspekte von Krisen zusammen, die Vierhaus nennt. 2. Formulieren Sie ausgehend von Vierhaus’ Defi nition des Begriffes „Krise“ Fragen, die an einen historischen Sachverhalt gestellt werden müssen, um herauszufi nden, ob ihm eine Krise zugrunde liegt. 3. Krisen müssen, wie Vierhaus schreibt, „objektiven Charakter“ (Zeile 34) haben. Überprüfen Sie, ob unter diesem Gesichtspunkt das Spätmittelalter von Krisen geprägt war. M2 Krise als Ergebnis von Teilkrisen 1987 legt der deutsch-böhmische Historiker Frantisˇek Graus ein Buch über das Spätmittelalter vor, in dem er Pest, Geißlerbewegung Judenmorde und Kirche sowie soziale Unrast und Aufstände des 14. Jahrhunderts untersucht hat. In dem Zusammenhang geht er auch auf den Krisenbegriff ein und schreibt: Neben Epochen relativer Ruhe […] zeichnen sich Zeitalter mit einer außerordentlichen „Katastrophendichte“ ab, Zeitabschnitte, in denen sich Naturerscheinungen, Epidemien, Kriege und Erschütterungen der Gesellschaft dermaßen häuften, dass sie die Zeit zu beherrschen scheinen. Die Nachrichten aus dem 14. Jahrhundert erwecken durch Einzelheiten der Schilderung und die Beredtheit vieler zeitgenössischer Zeugen, den Eindruck einer allgemeinen Misere, die Historiker zuweilen dazu geführt hat, diese Epoche als Krisenzeit, geradezu als die dramatische Zäsur im Ablauf des sogenannten Mittelalters zu deuten. […] Wenn der Begriff [„Krise“] historisch sinnvoll angewandt werden soll, müssen seine Grenzen einerseits so eng werden, dass nicht alles als „Krise“ bezeichnet werden kann, andererseits darf dadurch nicht eine so strikte Festlegung erfolgen, dass sie den Begriff ausschließlich mit einem einzigen Phänomen verbindet. Bei der Bezeichnung einer Zeit als „Krise“ geht man von der Vorstellung aus, dass es neben Teilkrisen (Handels-, Agrar-, demogra fi schen2 Krisen u. a. m.) Gemeinsamkeiten gibt, die Einzelgebiete miteinander verbinden. Bei der Benützung dieser Bezeichnung hat sich stillschweigend eine Begrenzung des Gebrauchs herausgebildet: Die „Krise“ wird vom Verfall-Zerfall unterschieden, eine „Offenheit“ des Ausgangs muss gegeben sein. Übereinstimmung herrscht auch darin, dass verschiedene Aspekte des Lebens erfasst werden müssen, bevor man von einer Krise schlechthin sprechen kann. Insbesondere zeichnet sich ein gewisser Konsens darin ab, dass man den Begriff nur dann verwenden sollte, […] wenn bedeutendere Veränderungen und ein verbreitetes „Krisengefühl“ vorhanden sind. Ich schlage daher vor, als „Krise“ das Zusammenfallen verschiedenartiger Erschütterungen (sog. Teilkrisen) objektiver Art (qualitative Umbrüche, Trendeinbrüche, Trendwenden) zu bezeichnen, sofern sie von Erschütterungen (drohenden Verlusten), bisher kaum bestrittener Sicherheiten (Werte) begleitet sind, deren man sich bewusst ist. Die Einzelbestandteile sind meist unterschiedlich stark ausgeprägt; sie 2 Demografi e: Lehre von der Entwicklung der Bevölkerung nach Zahl und Zusammensetzung1 involviert: eingeschlossen 25 30 35 40 45 5 10 15 20 25 30 35 32015_1_1_2015_Kap1_008-081.indd 21 01.04.15 10:57 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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