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321 Waren Holocaust und Krieg nach dem Machtantritt Hitlers unvermeidbar? Volk ohne Grenzen Ein Essay von Michael Wildt Nur vier Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler traf sich Adolf Hitler mit den Befehlshabern der Reichswehr in der Privatwohnung des Chefs der Heeresleitung, General der Infanterie Kurt Freiherr von Hammerstein. Was er den zwei Dutzend versammelten Generälen am Abend dieses 3. Februar zu sagen hatte, bildete den Kern seines politischen Programms: „Völlige Umkehrung der gegenwärtigen innenpolitischen Zustände in Deutschland“, so notierte Generalleutnant Curt Liebmann Hitlers Ausführungen. „Keine Duldung der Betätigung irgendeiner Gesinnung, die dem Ziel entgegensteht (Pazifi smus!). Wer sich nicht bekehren lässt, muss gebeugt werden. Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel.“ Und: „Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie“ sowie „Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung“. […] Von Anfang an wollte die nationalsozialistische Führung den Krieg um „Lebensraum“ führen. Der dazu notwendigen Aufrüstung galten alle Aufmerksamkeit, alle Ressourcen ihrer Politik. Dazu mobilisierte sie die deutsche Bevölkerung und sämtliche ökonomischen Mittel, selbst mit der Konsequenz, durch die immense Schuldenwirtschaft die deutsche Volkswirtschaft zu zerrütten. In ihrem zynischen Kalkül würden die Beschlagnahmungen, die Kontributionen und der Raub von Vermögen aus den eroberten Gebieten die volkswirtschaftliche Bilanz Deutschlands wieder ausgleichen. Und die jungen Eliten in Staat, Militär und Wirtschaft unterstützten diese Politik, weil sie Gestaltungskraft, Expansion und Machtzuwachs bedeutete. So eindeutig die nationalsozialistische Politik von 1933 an auf den Krieg ausgerichtet war, so unvermeidlich war er dennoch nicht. Wie Hitlers vorsichtiges Taktieren bei der Besetzung des Rheinlands zeigt, war er sich in diesen ersten Jahren der NS-Herrschaft keineswegs sicher, dass seine Politik aufgehen könnte. Eine entschlossene Reaktion der europäischen Nationen, insbesondere Frankreichs, Englands und auch Italiens, hätte der deutschen Expansionspolitik durchaus Einhalt gebieten können. Doch deuteten die Westmächte die deutsche Außenpolitik als bloße Revision des Versailler Vertrags, dessen Bestimmungen sie mittlerweile durchaus als zu hart beurteilten. Als der britische Premier Chamberlain nach Abschluss des Münchener Abkommens 1938 nach London zurückkehrte, wurde er als „peacemaker“ gefeiert, der einen drohenden europäischen Krieg abgewendet habe. Italien betrieb selbst eine Eroberungspolitik im Mittelmeerraum, für die es deutsche Unterstützung brauchte. Und alle, einschließlich des Vatikans, sahen es gern, wenn sich die national sozialistische Aggressivität gegen den Bolschewismus und die Sowjet union richtete. Den Kern der nationalsozialistischen Politik, den Krieg um „Lebensraum“, der an den europäischen Grenzen von 1914 nicht haltmachte, haben die übrigen europäischen Mächte zu spät erkannt, um rechtzeitig eingreifen zu können. Erst als Hitler Polen überfi el, erklärten Großbritannien und Frankreich dem Nazi-Regime den Krieg. Der Krieg entschied auch über das Schicksal der europäischen Juden. Unvermeidbar war der Holocaust jedoch nicht, obwohl das neue Regime von Anfang an unmissverständlich klarmachte, dass es eine radikal antisemitische Politik betreiben würde. Der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933, die gleich nachfolgenden Gesetze zum Ausschluss von Juden aus dem Öffentlichen Dienst sowie die zahlreichen antisemitischen Verordnungen und Schikanen im Reich ließen an der Entschlossenheit des NS-Regimes, die Juden aus Deutschland zu vertreiben, keinen Zweifel. […] Die Grundlinien der antisemitischen Politik des NS-Regimes in der Vorkriegszeit waren bereits 1933 zu erkennen: die deutschen Juden sozial zu isolieren, sie zu berauben und aus Deutsch 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Kernaussage als offene Frage und provokante These Motivierender, anschaulicher Einstieg mit aussagekräftigen Zitaten Problem mit knappen Hintergrundinformationen (Kriegsziele und Aufrüstung) These/Stellungnahme (Krieg war nicht unvermeidbar) Argumentation (Frühes Eingreifen der Westmächte hätte Krieg verhindern können) Thesen, Beispiele und Belege untermauern die eigene Position (Westmächte erkannten die Gefahr zu spät) Verknüpfung der Kern aspekte Krieg und Holocaust; ergänzende These/Stellungnahme (Holocaust war nicht unvermeidbar) These 32015_1_1_2015_Kap3_260-351.indd 321 01.04.15 11:00 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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