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347 Theorie-Baustein: Deutschlands Weg in den Nationalsozialismus – ein Sonderweg? Kompetenz: Interpretationen und Kontroversen zum „deutschen Sonderweg“ beschreiben, analysieren und beurteilen Die These vom „deutschen Sonderweg“ Wie ist es zu erklären, dass sich in einem modernen, kulturell und industriell hochentwickelten Land wie Deutschland ein derart radikales Diktaturregime entwickeln konnte, das die Welt in einen verheerenden Krieg stürzte und in der Ermordung von über sechs Millionen Menschen gipfelte? Zu dieser Frage sind zahllose Studien mit unterschiedlichen Antworten und Erklärungsansätzen verfasst worden. Die seit den 1960erund 70er-Jahren dominierende These besagt, dass Deutschland einen „Sonderweg“ in die Moderne beschritten habe, der sich auffällig von dem anderer westund mitteleuropäischer Staaten unterscheide (u M1). Die Ausgangsfrage lautet dabei, warum Länder wie Großbritannien oder Frankreich die ökonomische und politische Krise um 1930 überstanden, während das Deutsche Reich die Demokratie aufgab und durch eine totalitäre Diktatur ersetzte. Die Vorstellung eines deutschen Sonderweges gab es bereits im 19. Jahrhundert. Historiker, Publizisten und Bildungsbürgertum feierten den „deutschen Sonderweg“ als den überlegenen Weg der Deutschen. Dieser wurde in Abgrenzung zum „Erzfeind“ Frankreich mit der Ablehnung der „westlichen“, als „undeutsch“ empfundenen politischen Prinzipien der Französischen Revolution verbunden. Durch die führende Rolle Preußens im Reich wurde zudem dessen militärische Tradition zur Grundlage deutscher Größe umgedeutet. Die in all dem deutlich werdende Arroganz verstärkte sich im Ersten Weltkrieg durch die „Ideen von 1914“ und erst recht nach der Niederlage 1918, ehe sie die nationalsozialistische Ideologie zu welthistorischer Größe überhöhte und pervertierte. Nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ kehrte sich die bislang positiv verstandene „Sonderwegs“-These in ihr Gegenteil um. Im Vergleich mit anderen Staaten sahen Historiker in der Entwicklung Deutschlands einen negativen Sonderweg. Dieser habe mit dem Scheitern der 1848er-Revolution, spätestens mit der Reichsgründung 1871 als einer „Revolution von oben“ und Bismarcks autoritärem Regime begonnen, durch die Schwächung der liberal-demokratischen Kräfte das Scheitern Weimars und den Sieg des Nationalsozialismus ermöglicht und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und des deutschen Nationalstaates sein Ende gefunden. Vor allem seit den 1980er-Jahren mehrten sich jedoch kritische Stimmen gegen diese lückenlos negative Kontinuitätslinie. So habe das Kaiserreich auch Positives vorzuweisen und auch das Scheitern der Weimarer Republik sei nicht von vornherein alternativlos gewesen. Vor allem wurde kritisiert, dass ein historischer Sonderweg die Existenz von „Normalwegen“ voraussetze, die es nicht gebe (u M2). Der Historiker Heinrich August Winkler hält an der These vom deutschen „Sonderweg“ auch nach 1945 fest. Er beschreibt die späte Entwicklung Deutschlands zu Nationalstaat und Demokratie als „langen Weg nach Westen“, der erst mit der Wiedervereinigung 1990 zum Abschluss gekommen sei (u M3). i Propagandapostkarte aus dem Jahr 1933. p Beschreiben und benennen Sie die abgebildeten Personen. p Erläutern Sie, welche Wirkung die Art der Darstellung und die Botschaft erzielen sollten. p Beurteilen Sie die auf der Postkarte hergestellte Kontinuitätslinie. Lesetipps p Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 5: Von der Gründung der beiden deutschen Staaten bis zur Vereinigung 1949 1990, München 2008 p Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, 2 Bde., München 72010 32015_1_1_2015_Kap3_260-351.indd 347 01.04.15 11:01 Nu r z u Pr üf zw ec ke Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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