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3613.2 Die Weimarer Republik und ihre Bürger eigentlich loyal zur Monarchie gestanden hatten, nach der erfolgreichen Revolution aber bereit waren, die junge Demokratie zu unterstützen. In den Krisenjahren der Republik ab 1929 wandelte sich die latente Republikfeindschaft in offene Ablehnung. Viele wandten sich den radikalen rechten und linken Parteien zu.1 Der Weimarer Republik fehlte eine stabile demokratische Tradition. Durch autoritäre, anti demokratische und militaristische Traditionen und Mentalitäten blieb vielen der Umgang mit der parlamentarischen Demokratie fremd. Auch wenn die Wahlbeteiligung mit durchschnittlich 80 Prozent hoch lag, war die Skepsis der Bevölkerung gegenüber den Parteien groß. Schuld daran waren ihre enge programmatische Ausrichtung und ihre Bindung an Interessengruppen. Im Kaiserreich hatte es keinen Zwang zur Koalitionsbildung gegeben, da die Regierung vom Parlament unabhängig war. Die Parteien hatten nicht gelernt, Kompromisse zu schließen, und vertraten nur die Interessen ihrer Wähler. Zudem existierten bei einem großen Teil der Bevölkerung noch obrigkeitliche Vorstellungen von einer über den Parteien stehenden Politik des Allgemeinwohls. Zwei Präsidenten – zwei Welten Maßgeblich geprägt wurde die Weimarer Republik durch die beiden Reichspräsidenten Friedrich Ebert und Paul von Hindenburg. Ihre völlig gegensätzlichen Persönlichkeiten und politischen Überzeu gungen stehen für die inneren Widersprüche der ersten deutschen Demokratie. Der eine galt als Symbol der neuen parlamentarischen Ordnung, der andere als Repräsentant der untergegangenen Monarchie (u M7 und M8). Ebert, aus einfachen Verhältnissen stammend, hatte sich zum Parteivorsitzenden der SPD hochgearbeitet. Nach Kriegsende stellte er sich an die Spitze der Revolution, um sie in parlamentarische Bahnen zu lenken. Als Repräsentant der Sozialdemokratie, die im Kaiserreich unterdrückt worden war, trat Ebert für die Mitbestimmung aller Gruppen ein. Eine sozialistische Räterepublik und damit die Herrschaft einer Klasse, wie es von revolutionären linken Kräften gefordert wurde, widersprach seiner demokratischen Grundüberzeugung. Dafür fand er viel Anerkennung. Er musste jedoch Entscheidungen treffen, die ihm viele Gegner einbrachten und ihn zunehmend auch von seiner Partei und der Arbeiterschaft entfremdeten. Wegen seines Bündnisses mit den alten Eliten galt Ebert für die Kommunisten als „Verräter der Arbeiterklasse“. Auch die politische Rechte diffamierte Ebert als „Verräter“. Sie bezichtigte ihn, während des Ersten Weltkrieges Streiks von Arbeitern organisiert und dadurch die Niederlage des Deutschen Reiches verschuldet zu haben („Dolchstoßlegende“2). Verhasst war er vor allem, weil er die Unterzeichnung des Versailler Vertrages verantworten musste. Geschätzt wurde der erste Reichspräsident weithin für seine unparteiische, untadelige Amtsführung und seine aufrichtige Persönlichkeit. Manche Historiker betonen, dass es Eberts Verdienst gewesen sei, eine Brücke zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Lagern und Parteien geschlagen und auf diese Weise die Basis der Weimarer Demokratie verbreitert zu haben. Wie kaum ein anderer Politiker wurde Ebert zur Zielscheibe politischer und persönlicher infamer Angriffe, insbesondere rechtskonservativer Kreise. Indem sie das Staatsoberhaupt in den Schmutz zogen, konnten sie zugleich die verhasste Republik schädigen. Um sich gegen solche Verleumdungen („Landesverrat“) gerichtlich zur Wehr zu setzen, verschob Ebert eine dringend notwendige Operation. Er starb überraschend am 28. Februar 1925. 1 Vgl. dazu Seite 365 f. 2 Zur „Dolchstoßlegende“ vgl. Seite 358 und M4 auf Seite 372 f. i Friedrich Ebert (1871 1925). Foto um 1920. Der Sohn eines Schneidermeisters aus Heidelberg arbeitete als Sattler, Redakteur und Gastwirt. Er engagierte sich früh in Partei und Gewerkschaft, war ab 1913 SPDVorsitz ender, übernahm nach Ausrufung der Republik 1918 die Regierungsgeschäfte und wurde 1919 erster Reichspräsident der Weimarer Republik. 32015_1_1_2015_Kap3_352-385.indd 361 01.04.15 10:27 Nu zu P rü fzw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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