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435Der 14. Juli – ein Mythos? M4 Widerstand Die Julifeiern von 1880 eröffnen das Jahrzehnt eines regelrechten Kulturkampfes um die Bedeutung des 14. Juli. Das katholisch und monarchisch gesonnene Frankreich wehrt sich dagegen. In einem 1880 in Grenoble veröffentlichten Beitrag heißt es: Der 14. Juli 1789 war selbst und in seinen Folgen ein Tag der Unordnung des aufständischen betrunkenen Pöbels, ein Tag der Niedertracht und Lüge, ein Tag des Eidbruchs, ein Tag der militärischen Gehorsamsverweigerung, Fahnenfl ucht und des Verrats, ein Tag der Plünderungen, der tierischen Barbarei und des Kannibalismus. […] Kurz, er bedeutet die Freigabe aller Verbrechen und den eigentlichen Beginn jener revolutionären Epoche, die zu Recht Terreur genannt wird. Hans-Jürgen Lüsebrink und Rolf Reichardt, a. a. O., S. 250 Analysieren Sie die Kontroverse, die der Er klärung des 14. Juli zum Nationalfeiertag vorausging (M3 und M4). Informieren Sie sich in dem Zusammenhang über die Anfangsjahre der französischen Dritten Republik. M5 „Es lebe die Republik!“ Der Präfekt des südwestlichen Départements Corrèze versendet 1901 folgendes Rundschreiben an alle Bürgermeister: Wie alle Jahre sind Sie auch diesmal wieder aufgerufen, das nationale Fest, das Fest der Republik zu begehen. Sie werden dem Jahrestag des Bastille-Sturms umso mehr Glanz verleihen, als er das Fest der Regierung geworden ist. […] Sie schmücken die öffentlichen Gebäude mit den drei Farben, welche die Revolution Frankreich beschert hat. Sie sorgen dafür, dass Schüler, Frauen und Männer zu Ban ketten, zum Tanz und zu Spielen zusammenkommen. Sie lassen insbesondere das Alter und die Kindheit ehren. Möge eine Gefühlsgemeinschaft für Frieden und Freiheit Ihre Versammlung beseelen, möge aus der Brust aller Bürger ein einziger Ruf erschallen: Es lebe die Republik! In einem Handbuch mit Musterreden für Bürgermeister, Schuldirektoren und alle Repräsentanten des öffentliches Lebens, das erstmals 1909 veröffentlicht und zuletzt 1983 wiederaufgelegt worden ist, heißt es: Eine Festung, ein Gefängnis, ein Grab, wo Schuldige wie Unschuldige bei lebendigem Leibe verfaulten, wie es den Großen gefi el. Die Bastille war gleichsam das Symbol, das sichtbare Zeichen des königlichen Despotismus. […] Ihr bloßer Name versetzte die Tapfersten in Schrecken. […] Doch 1789 verlieh eine großmütige Wut über die Ungerechtigkeit und Unterdrückung der Könige dem Volk von Paris ungeahnte Kraft; mit Gewalt bemächtigte es sich dieser geheimnisumwitterten Festung, die als uneinnehmbar galt. Und es gab den Gefangenen die Freiheit zurück, den Opfern einer Autokratie, die es nicht länger ertrug. […] Mit der Einnahme der Bastille […] beginnt das Zeitalter des Fortschritts und der Freiheit. Der französische Generalkonsul Gilles Thibault lädt aus Anlass des Nationalfeiertages am 14. Juli 2007 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur in den Innenhof des Düsseldorfer Rathauses zu einem Fest ein. In der kurzen Eröffnungsrede sagt er: Aber kommen wir […] auf den 14. Juli, den Tag im Jahre 1789, an dem die Bevölkerung von Paris die Bastille stürmte. Noch heute steht dieses Datum für eines der wichtigsten Ereignisse zur Sicherung der Demokratie weltweit. Seitdem haben wir hoffentlich aus der Geschichte gelernt, dass Demokratie, Freiheit und Gleichheit niemals gesicherte Werte darstellen, sondern dass permanent um sie gerungen werden muss. Erster Text: Hans-Jürgen Lüsebrink und Rolf Reichardt, a. a. O., S. 253; zweiter Text: ebda, S. 253; dritter Text: www.botschaft-frankreich.de/ konsulate/IMG/ discours_14_juillet_2007.pdf (Zugriff: 14. April 2012) Charakterisieren Sie anhand von M5, wie sich die „amtliche“ Erinnerungsarbeit allmählich veränderte. 5 5 10 15 20 25 30 32015_1_1_2015_Kap4_420-441.indd 435 01.04.15 11:03 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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