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53Die Kirche in der Krise M1 Angriffe auf den Papst Der englische Theologe und Kirchenreformer John Wyclif schreibt um 1380 über das Papsttum: Wenn der Papst in Lehre und Leben Christo entgegen ist, so ist er der vornehmste Feind Christi […] und der hauptsächlichste Antichrist […]. In Worten ist er dies, weil er Lügen ausstreut. Wenn wir hinsehen auf die Schriften der Apostel, die geschrieben sind aus dem Glauben an den Herrn Jesum Christum, und auf die päpstlichen Schriftstücke […] dann können wir ersehen, wie wenig sie in ihrem Inhalt übereinstimmen; denn die päpstlichen Schriften sprechen von der Macht in der Welt, die evangelischen Schriften aber von demütiger Flucht aus der Welt. Christus war sehr milde und sanftmütig, wie es bei Matthäus 11,20 heißt. Der Papst aber ist, wie man sagt, ein hochmütiger Mensch und ein grausamer Rächer. Denn wenn ihm die Macht des weltlichen Arms fehlt, so wendet er die Strafe der Exkommunikation1 an und verleiht angeblich Ablässe allen denen, die ihn an seinen Feinden rächen wollen. […] Als Christus durch Samarien zog und den Seinigen Speise und Herberge verweigert wurde, da wollte er nicht, dass die Leute darum gekreuzigt würden, wie es laut Lukas 9,56 hervorgeht: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.“ Der Papst verdirbt, wie man sagt, viele Seelen; müssen wir ihn darum nicht für den Antichrist halten? Wenn es hundert Päpste gäbe und alle Bettelmönche Kardinäle würden, man dürfte ihnen in Glaubenssachen doch nur insoweit beipfl ichten, als sie mit der Heiligen Schrift übereinstimmen. Nach: Wolfgang Lautemann (Bearb.), Geschichte in Quellen, Bd. 2: Mittelalter. Reich und Kirche, München 21978, S. 799 (übersetzt von R. Buddensieg und G. Lechler) 1. Geben Sie in eigenen Worten wieder, was John Wyclif am Papsttum kritisiert. 2. Arbeiten Sie heraus, was Wyclif als „Autorität“ in Glaubensfragen ansieht. 3. Erörtern Sie, welches Bild Wyclifs Aussagen vom Papsttum im Spätmittelalter zeichnen. Inwiefern kann hier von einer Krise der Kirche gesprochen werden? M2 Wem steht in der Kirche die oberste Gewalt zu? Am 6. April 1415 beschließt das Konstanzer Konzil: Diese heilige Synode1 zu Konstanz, die zum Lobe Gottes rechtmäßig im Heiligen Geist versammelt ist, erklärt, dass sie, ein allgemeines Konzil abhaltend und die irdische katholische Kirche repräsentierend, ihre Vollmacht unmittelbar von Christus hat. Ihr ist jeder, welchen Standes und welcher Würde auch immer – sei es auch die päpstliche – in denjenigen Angelegenheiten zum Gehorsam verpfl ichtet, die sich auf den Glauben, die Ausrottung des Schismas und die allgemeine Reform der Kirche Gottes an Haupt und Gliedern beziehen. Desgleichen erklärt sie, dass jeder, welcher Stellung, welchen Standes und welcher Würde auch immer – sei es auch die päpstliche – der den schon beschlossenen wie auch noch zu beschließenden Geboten, Satzungen oder Anordnungen oder Vorschriften dieser heiligen Synode und eines jeden anderen rechtmäßig versammelten allgemeinen Konzils den Gehorsam verweigert, einer entsprechenden Buße unterworfen und gehörig bestraft wird, wobei nötigenfalls auch andere Rechtsmittel angewendet werden. 45 Jahre später gibt Papst Pius II. am 18. Januar 1460 in einer Bulle (päpstliches Schreiben) bekannt: Ein verwünschenswerter Missbrauch ist in unseren Tagen aufgekommen, dass nämlich vom römischen Papst, dem Stellvertreter Jesu Christi, […] einige vom Geist des Aufruhrs [und] durch Sünde verleitete Kritiker des Papstes sich herausnehmen, ein künftiges Konzil zu verlangen. Wie sehr ein solches Vorgehen den heiligen Canones2 widerstreitet, wie sehr es dem christlichen Gemeinwesen schadet, kann jeder Rechtskundige erfassen. Um dieses üble Gift aus der Kirche Christi auszuscheiden, verdammen wir solchen Appell und weisen ihn als irrig und abscheulich zurück; wir erklären ihn für null und nichtig, falls er sich noch hervorwagen sollte, und betrachten ihn als sinnlos und bedeutungslos. Martin Luther (siehe Seite 56) fasst 1520 in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ die Kritik an der Kirche und am Papst zusammen und schreibt: Alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes und ist unter ihnen kein Unterschied außer allein des Amts halber, 5 10 15 20 25 5 10 15 20 25 30 1 Exkommunikation: Ausschluss aus der Glaubensgemeinschaft 1 Synode (griech. synodos: Zusammenkunft): Konzil 2 Canones: Das Kirchenrecht besteht aus Canones, das sind kirchliche Beschlüsse, die auf Konzilien gefasst werden. 32015_1_1_2015_Kap1_008-081.indd 53 01.04.15 10:57 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn e V er la gs | |
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