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77Auswirkungen im Reich und auf Europa M7 Ein König wird abgesetzt Die aufständischen Provinzen und Städte der nördlichen Niederlande schließen sich 1579 zur Union von Utrecht zusammen. Sie beauftragen 1581 eine Kommission von Juristen, einen Text zur Absetzung König Philipps II. auszuarbeiten. Dieser wird in Form eines öffentlichen Anschlages am 26. Juli 1581 bekannt gemacht. Das bedeutende Dokument der europäischen Verfassungsgeschichte begründet das moderne Widerstandsrecht: Ein Volk ist nicht wegen des Fürsten, sondern ein Fürst um des Volkes willen geschaffen; denn ohne das Volk wäre er ja kein Fürst. Er ist dazu da, dass er seine Untertanen nach Recht und Billigkeit regiere und sie liebe wie ein Vater seine Kinder, dass er treu walte, wie ein Hirt über seine Herde. Behandelt er sie aber nicht so, sondern bloß wie Sklaven, dann hört er auf, ein Fürst zu sein, und ist ein Tyrann. Die Untertanen aber haben das Recht, nach gesetzlichem Beschluss ihrer Vertreter, der Stände, wenn kein anderes Mittel mehr übrig ist und sie durch keine Vorstellung ihrer Not irgendwelche Versicherung der Freiheit für Leib und Gut, für Weib und Kind von dem Tyrannen erlangen können, diesen zu verlassen. Unter dem Vorwand der Religion hat der König von Spanien eine Tyrannei einzurichten versucht und, ohne auf irgendeine Vorstellung des Landes zu achten, dessen Privilegien verletzt, den Eid gebrochen, den er auf deren Erhaltung geschworen. Und so erklären wir denn jetzt den König von Spanien verlus tig jedes Anspruchs auf die Herrschaft in den Niederlanden; wir entbinden hiermit alle Amtsleute, Obrigkeiten, Herren, Vasallen und Einwohner von dem einst dem König von Spanien geleisteten Eid des Gehorsams und der Treue und befehlen allen Beamten, fortan den Namen, die Titel und die Siegel des Königs von Spanien nicht mehr zu gebrauchen und einen neuen Eid abzulegen, des Inhalts, uns treu zu sein gegen den König von Spanien und alle seine Anhänger. Nach: Gottfried Guggenbühl, Quellen zur Geschichte der neueren Zeit, Zürich 41976, S. 135 f. 1. Erklären Sie den Begriff „Stände“. Inwiefern repräsentieren sie die Bevölkerung? 2. Arbeiten Sie heraus, wie im Text Tyrannei defi niert wird. Welche Rolle spielte im Fall des Königs von Spanien die Religion? 3. Nehmen Sie Stellung zur Begründung des Widerstandsrechts. Inwieweit ist sie nachvollziehbar, inwieweit pro blematisch? M8 Glaubenslehren brauchen Medien Der Orden der Jesuiten (Gesellschaft Jesu) treibt wie keine andere Einrichtung der katholischen Kirche seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die kirchliche Erneuerung voran. Ignatius von Loyola (1491 1556), ihr Ordensgründer, unterweist in einem Schreiben vom 13. August 1554 den deutschen Ordensprovinzial Petrus Canisius, wie er den Menschen den katholischen Glauben nahe bringen und damit die Lehren der „Neuerer“ abwehren kann: Angesichts des Fortschritts, den die Neuerer in so kurzer Zeit machen – verbreitet sich doch das Gift ihrer schlimmen Lehre bereits über große Völker und Länder, und noch immer sind sie im Vordringen […]. Die Neuerer verstehen es, ihre falsche Lehre mundgerecht zu machen und dem Fassungsvermögen der Masse anzupassen, indem sie ihre Lehre vor der Menge und in den Schulen verkünden und zugleich kurze Broschüren unter das Volk werfen, die von vielen verstanden und gekauft werden können. Durch ihre Schriften verschaffen sie sich auch da Zugang, wo ihre Agenten nicht selber hingelangen können, und bei der Nachlässigkeit der berufenen Wächter, bei dem schlechten Beispiel und der Unwissenheit der Katholiken, hauptsächlich der Geistlichen, haben sie im Weinberg des Herrn einen wahren Jammer der Verwüstung angerichtet. Demgemäß will uns bedünken, dass die Gesellschaft sich besonders mit den folgenden Mitteln auf den Kampfplatz werfen und gegen die Schäden angehen solle, die der Kirche von jener Seite zugefügt werden: […] Die Hauptsätze der Theologie ließen sich, nach Art eines kurzen Katechismus zusammengestellt, den Kindern und dem ungebildeten Volke lehren, wie man jetzt Christenlehre gibt […]. Für die höheren Klassen, vor allem die Prima, und für die philosophischen und theologischen Hörer wäre außerhalb der gewöhnlichen Stunden jener apologetische1 Kurs vorzutragen, damit alle, die einigermaßen dafür reif sind, mit den Gemeinplätzen vertraut werden. […] Zu diesem Kurs wären die einheimischen Priester und die Schüler der höheren Klassen zuzulassen, überhaupt alle, die Lust hätten. Und mit ihrer Mitarbeit ließe sich verhältnismäßig schnell das Gegengift gegen die Häresie2 über viele Orte verbreiten; denn die Vorlesung, die sie hören, und das Buch, das sie in der Hand haben, befähigen die Hörer, ihrerseits dem Volke zu predigen und in den katholischen Schulen zu unterrichten. Da ferner die Neuerer häufi g Broschüren und Flugschriften verbreiten, durch die sie der Katholiken und besonders unser, 5 10 15 20 25 5 10 15 20 25 30 35 1 apologetisch: verteidigend (gemeint: die Grundsätze der katholischen Kirche verteidigend) 2 Häresie: Ketzerei 32015_1_1_2015_Kap1_008-081.indd 77 01.04.15 10:57 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn r V er la gs | |
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