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sondern kann nur langsam wieder hinaufgehen. Dann erst können die gesamten Maßnahmen getroffen werden, die notwendig sind, dann erst kann das Preisniveau der Waren wieder in das richtige Verhältnis zum Volumen der Waren kommen. Bis dahin gibt es in der ganzen Welt nur ein Herumtappen, und jedes Volk kann sich nur darauf einrichten, dass es sehen muss, wie es aus dieser Situation kommt. […] Das Jammern macht in der Welt gar keinen Eindruck, ob von Kreisen der Industrie oder der Landwirtschaft. Die Welt ist sich heute darüber aber im Klaren, dass die Reparationszahlungen in der bisherigen Höhe nicht mehr fortgesetzt werden können, sei es offen oder wenigstens im Stillen. Sehr schwer ist es ja doch, den Völkern klarzumachen, nachdem der Young-Plan1 nun ein Jahr in Kraft ist und als stabile Lösung angesehen wurde, dass es mit den Reparationen nichts ist. Man braucht Zeit für diese Erkenntnis, und die Politik der Reichs regierung, keine populäre Politik zu machen, hat absolute Bestätigung gefunden. Wir mussten die Initiative den anderen zuschieben; die letzten Ereignisse haben sicher den Gutwilligen klargemacht, dass wir bei eigener Initiative einen politischen Block bekommen hätten, der eine andere Reichsregierung zur Folge gehabt hätte. Es bleibt nichts anderes übrig, um wieder Kredit zu bekommen, als der Welt zu zeigen, was wir leisten können. Die Gefahr, dass daraus hinsichtlich der Reparationen in positiver Hinsicht Schlüsse gezogen werden können, ist nicht mehr groß. Es muss der letzte Schleier von Deutschland weggezogen werden und die Dinge ganz offen so dargestellt werden, wie sie sind. […] Es kommt ja heute darauf an, das zurückgezogene Kapital, das an sich im Laufe eines Jahres ersetzt werden kann, durch den Erlass der Reparationen für dieses Jahr nur für einige Monate auszugleichen, d. h. also einen Weg zu fi nden, der uns den Endeffekt am Ende des Jahres jetzt schon zur Verfügung stellt. Außer diesem Weg der Kreditierung ausländischer Rohstoffi mporte2 gibt es noch einen zweiten Weg, worüber ich aber jetzt noch nicht sprechen werde. Es besteht eine sichere Notwendigkeit, überall zu erneuten Sparmaßnahmen zu kommen. […] Eine kurzfristige Verschuldung von Ländern und Gemeinden im Tempo wie in den vergangenen Jahren muss aufhören. Es ist unmöglich, das Bankensystem noch einmal zu retten, wenn man plötzlich vor Tatsachen gestellt wird, die uns zum Teil erst in letzter Stunde bekannt geworden sind. Die Dinge liegen zwar in den Ländern verschieden. Aber die Tatsache, dass ein großer Teil der Illiquidität3 auf diese enorme kurzfristige Verschuldung zurückzuführen ist, müsste jedem verantwortlichen Politiker in Reich, Ländern und Gemeinden die Augen öffnen, dass mit diesem System Schluss gemacht werden muss. Walter Steitz (Hrsg.), Quellen zur deutschen Wirtschaftsund Sozialgeschichte. Vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende der Weimarer Republik, Darmstadt 1993, S. 458 462 1. Charakterisieren Sie, wie sich die Reichsregierung in ihrem Aufruf (M1) darstellt und welche Absichten sie mit diesem Aufruf verfolgt. 2. Der Vorwurf der „marxistischen Misswirtschaft“ (M2, Z. 3) traf die SPD während sie in der Regierungsverantwortung war. Weisen Sie anhand des Aufrufes der SPD nach, wie sich die Partei in der verschärften Krise 1931 positioniert. 3. Versetzen Sie sich in die Situation des Tagebuchschreibers (M3) und lesen Sie mit seinen Augen den Aufruf der Reichsregierung (M1) und die Stellungnahme der SPD (M2). Arbeiten Sie aus diesen beiden Texten die Hinweise heraus, die Victor Klemperer in die von ihm geschilderte Situation von Hilfl osigkeit und Nichtwissen versetzt haben dürfte. Verwenden Sie für Ihre Ausarbeitung auch den Darstellungsteil (S. 116). F Gestalten Sie eine Diskussionsrunde zwischen einem Vertreter der Reichsregierung, einem SPD-Politiker und einem Journalisten, der im Sinne von Victor Klemperer argumentiert. 4. Stellen Sie die Maßnahmen zusammen, die Brüning (M4) zur Bekämpfung der Krise plant. 5. An anderer Stelle dieser Rede vertritt Brüning die These, dass die Reichsregierung „sich in sozialer Gesinnung von keiner ihrer Vorgängerregierungen übertreffen lässt“. Entwerfen Sie einen sozialdemokratischen Zeitungskommentar zu dieser Aussage. H Überprüfen Sie dafür die sozialpolitischen Maßnahmen der Regierung Brüning und ihre Wirkung. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 2 Kreditierung ausländischer Rohstoffi mporte: Gewährung von Krediten zum Kauf von Rohstoffen 3 Illiquidität: Zahlungsunfähigkeit; siehe auch Anm. zu M1 1 Young-Plan: unter Vorsitz des US-Bankiers Owen D. Young überarbeiteter Reparationsplan; wurde am 7. Juni 1929 unterzeichnet. Die deutschen Gesamtleistungen wurden auf 112 Milliarden Reichsmark bis 1988 festgelegt. 120 Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise 1929 4677_1_1_2015_090-127_Kap3.indd 120 17.07.15 11:42 Nu zu P rü fzw ec k n Ei ge nt um d s C .C .B uc h er V er la gs | |
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