1.Arbeiten Sie die Gründe heraus, die Velleius Paterculus für die römische Niederlage in der Varusschlacht anführt.
Die Niederlage der Römer war Velleius Paterculus zufolge ein Ergebnis von Verrat und List, nicht aber von grundsätzlicher Überlegenheit der germanischen Barbaren über die Römer. Der Autor personalisiert die römische Niederlage bzw. den germanischen Sieg: Varus als Verantwortlicher auf römischer Seite sei schwach, wenig intelligent, leichtgläubig, an Müßiggang und an Erwerb von Reichtümern interessiert gewesen; er habe sich in Germanien eher als Verwalter denn als Militär betätigt. Er habe sich von den Germanen blenden lassen, die ihm Friedfertigkeit vorspiegelten und ihm Glauben machten, sie akzeptierten die römische Präsenz.
Im Gegensatz dazu skizziert Velleius Paterculus Arminius als schlau, kampferprobt und temperamentvoll. Ihm sei es mit List, Überzeugungskraft, Intelligenz und geistiger Beweglichkeit vor dem Hintergrund seiner Kenntnisse über die Römer gelungen, die Germanen für seine Pläne zu gewinnen und Varus zu besiegen.
2.Vergleichen Sie seine Charakterisierung von Varus und Arminius.
Arminius und Varus werden als gegensätzliche Charaktere dargestellt. Beide stammen zwar aus angesehenen Familien (Arminius sogar aus „vornehmem Geschlecht“, Zeile 34f.), ansonsten hat Arminius aber alles, was Varus nicht hat: er ist „tüchtig im Kampf“, „rasch in seinem Denken“ (Zeile 35) und hat einen „feurige[n] Geist“ (Zeile 39). Arminius wird von Velleius Paterculus als aktiver Anführer charakterisiert, der die Dinge in die Hand nimmt, Schlachtpläne schmiedet, Mitverschwörer hinter sich versammelt und schließlich in den Kampf führt. Er habe sich durch seine Intelligenz und geistige Beweglichkeit ausgezeichnet, die ungewöhnlich für die Germanen gewesen sei und außerdem habe er von seinem intensiven Kontakt mit den Römern profitiert.
Im Gegensatz dazu bleibt Varus passiv; selbst als ihm von den Verschwörungsplänen berichtet wird, reagiert er nicht. Damit trage Varus laut Velleius Paterculus selbst die Schuld an seinem Schicksal und an der Niederlage von drei römischen Legionen. Die Charakterisierung orientiert sich also an einem schlichten Schwarz-Weiß-Schema: Varus’ charakterliche Schwächen spiegeln sich in Arminius’ Stärken.
Günther Moosbauer, Die Varusschlacht, München ²2010
Hans Dieter Stöver, Der Sieg über Varus. Die Germanen gegen die Weltmacht Rom, München 2009
Reinhard Wolters, Die Schlacht im Teutoburger Wald. Arminius, Varus und das römische Germanien, mit neunzehn Abbildungen, zwei Stammbäumen und neun Karten, München 2008
Erläutern Sie die Aussage des Holzschnitts. Warum werden hier Arminius und Luther „gegen Rom“ dargestellt? Recherchieren Sie dazu zum nationalen Luthermythos und zum „Kulturkampf“.
Der Holzschnitt vereint die Abbildung des Hermannsdenkmals vom Teutberg und das Luther-Denkmal aus Worms. Im Bildhintergrund sieht man den Petersdom in Rom umhüllt von bedrohlichen Wolkenmassen.
Den politisch-historischen Hintergrund für den Holzschnitt bildet der sogenannte „Kulturkampf“, den Bismarck im neu gegründeten Reich gegen die katholische Kirche und gegen „ultramontane“ Kräfte (vor allem die Zentrumspartei) unter dem Vorwurf der Reichsfeindschaft führte. Im Gegensatz zur „nationalen“ protestantischen Kirche seien die Katholiken auf Rom ausgerichtet und damit in ihrer nationalen Identität und Loyalität zumindest gespalten. Mithilfe einer Reihe von Gesetzen wurde der Einfluss der Kirche auf Schule, Gesellschaft und Ehe zurückgedrängt. Der „Kanzelparagraf“ von 1871 untersagte Geistlichen politische Stellungnahmen in Ausübung ihres Amtes, das „Jesuitengesetz“ verbot 1872 den Jesuitenorden in Deutschland und 1873 überführte ein ganzes Maßnahmenbündel die Schul- und Kirchenaufsicht in staatliche Hand. 1875 strich das „Brotkorbgesetz“ die staatlichen Leistungen für die katholische Kirche, und die Zivilehe (eine Eheschließung wurde nur auf dem neu eingeführten Standesamt gesetzlich anerkannt) wurde eingeführt. Doch die katholische Bevölkerung rebellierte und stärkte bei Wahlen der Zentrumspartei den Rücken. So war Bismarck gezwungen, in Verhandlungen mit Papst Leo XIII. Kompromisse auszuhandeln. 1887 wurde der „Kulturkampf“ formell beendet.
Arminius und Luther werden vor dem Hintergrund des „Kulturkampfes“ als Vorkämpfer gegen die römische Einflussnahme, symbolisiert durch den im Dunkeln verschwindenden Petersdom im Hintergrund und die Unterschrift „Gegen Rom“, auf Deutschland dargestellt. Arminius hat den Sieg (Schild mit der Aufschrift „Vici“ / ich siegte) gegen die römischen Truppen im Teutoburger Wald aufgrund militärischer Stärke (erhobenes Schwert) erzielt und so die Fußfesseln der römischen Einflussnahme abgestreift (zu seinen Füßen). Luther hat sich der katholischen Kirche mit seinen Ideen und Schriften (Buch „vincam“ / ich werde siegen) widersetzt, so auch auf dem Reichstag von Worms 1521 (Sockelaufschrift „Worms“), wo er mit den Worten „Hier steh ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen!“ eine Abkehr von seinen Positionen verweigert haben soll. Aus Sicht des Holzschnitts ist dieser Kampf noch nicht beendet, da die katholische Kirche noch immer in Deutschland existiert. So wird der Holzschnitt zu einem Plädoyer für eine protestantisch geprägte deutsche Identität.
Dies entspricht dem im 19. Jahrhundert entstandenen nationalen Luthermythos, der Martin Luther zu einem Vorkämpfer für die deutsche Sprache und die nationale Einheit machte. Es wird betont, dass er sich mit seinen Schriften gegen Rom wandte und dem spanisch-habsburgischen Kaiser Karl V. die Stirn bot.
Ausgangspunkt für die Entstehung des Mythos bildete das von studentischen Burschenschaften geprägte Wartburgfest am 18. Oktober 1817, das an Luthers Thesenanschlag in Wittenberg 300 Jahre zuvor erinnerte. Auch auf zahlreichen Gemälden wurde im Folgenden Luther anhand wichtiger Stationen seines Kampfes (Reichstag zu Worms 1521, Verbrennung der Papstbulle 1520) zum Vorreiter für die nationale Sache stilisiert. Die Bilder erfuhren als preisgünstige Stiche eine weite Verbreitung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden als Ausdruck der nationalen Bedeutung Luthers zudem zahlreiche Luther-Denkmäler (unter anderem 1868 in Worms, 1883 in Eisleben, 1885 in Dresden). Der Historiker Heinrich von Treitschke verknüpfte schließlich gegen Ende des Jahrhunderts Luther mit dem „germanischen Erbe“, das er als wichtigen Faktor für den Erfolg der Reformation charakterisierte, und betonte so die protestantische Prägung des Kaiserreiches.